Prolog: Das Leben als Investor/Geschäftsführer kann so schön sein: Sie haben ein Unternehmen gegründet und Ihre Geschäftsidee erfolgreich am Markt umgesetzt. Sie haben Partner gefunden, Kredite erhalten und auch der Exit steht nun unmittelbar bevor. Je nach Gesellschaftsform stehen noch die Liquidation, das Abwarten eines Sperrjahres oder die Erfüllung weiterer Voraussetzungen an. Sie freuen Sie nun auf den Gesamtgewinn, den Sie erwirtschaftet haben.
Hat Ihre Gesellschaft die Gläubiger befriedigt? Wurden tatsächlich alle Gläubiger berücksichtigt? Haben Sie insbesondere an das (deutsche) Finanzamt gedacht? Die meistens werden mit „Ja“ antworten, da alle bisherigen Forderungen vermeintlich beglichen wurden. Spätestens nach der erfolgreichen Löschung der Gesellschaft im Handelsregister, meint man, den Gewinn behalten zu können und keiner Haftung mehr ausgesetzt zu sein.
Hierbei kann es sich um einen verhängnisvollen und vor allem um einen teuren Irrtum handeln.
1. Problem: Vorläufigkeit der Steuerbescheide
Viele Bescheide in Deutschland ergeben mit einem Vorläufigkeitsvermerk / unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Den meisten ist hierbei nicht bewusst – oder man vergisst es nach Ablauf von einigen Jahren – , dass das Finanzamt in solchen Fällen jederzeit die Steuerfestsetzung ändern kann.
2. Problem: Betriebsprüfung und die Durchsetzbarkeit der Steuerforderungen
Jedes Unternehmen muss mit einer Außenprüfung (Betriebsprüfung) rechnen. Gerade bei einem ausländischen Bezug, z. B. wenn ein ausländisches Unternehmen „bloß“ eine Betriebsstätte in Deutschland begründet hat, ist damit zu rechnen, dass eine Betriebsprüfung spätestens in der Liquidationsphase erfolgen wird.
Die Durchsetzung von Steuern ist normalerweise nur innerhalb von 4 Jahren möglich. Diese Festsetzungsvejährung beginnt aber erst zu laufen, wenn das Unternehmen die entsprechende Steuererklärung abgegeben hat. In speziellen Fällen verlängert sich die Frist sogar auf 10 Jahre.
Der Beginn der Betriebsprüfung hemmt den Lauf der Frist. Dies führt dazu, dass das Unternehmen während der Liquidation über mehrere Jahre nicht einschätzen kann, ob noch Steuern zu zahlen sind. Im schlimmsten Fall kann sogar passieren, dass die Betriebsprüfung erst nach Löschung der Gesellschaft startet.
3. Problem: Löschung im Handelsregister führt nicht zur wirklichen Vollbeendigung
Viele Unternehmen, Gesellschafter und Geschäftsleiter meinen in solchen Fällen, dass mit der offiziellen Löschung der Firma in Handelsregister die Gefahren überstanden sind. Man sei nun „im sicheren Hafen“. Es kann nichts mehr passieren.
In Deutschland vertritt die Praxis und insbesondere auch das Finanzamt die Ansicht, dass zu einem formalen Akt („der Löschung im Handelsregister“) noch die tatsächliche Vollbeendigung hinzukommen muss. Das Unternehmen darf somit nicht mehr Träger von Rechten und Pflichten sein. Dies ist auch die herrschende Meinung der deutschen Gerichte.
Die Löschung alleine ist daher für die Steuerbehörden nicht ausreichend oder gar relevant. Für diese existiert der Steuerpflichtige so lange fort, wie er noch Steuern nachzahlen müsste.
4. Problem: Die Nachtragsliquidation ist kein Hindernis
Nun könnte man sich auf den folgenden Standpunkt stellen: Der Weg der Nachtragsliquidation ist doch beschwerlich. Es müssen Anträge gestellt und Organe bestellt werden. Fraglich ist darüber hinaus, ob die Gesellschaft noch Geldmittel hat bzw. ob sie diese von den ehemaligen Gesellschaftern zurückfordern kann. Anders ausgedrückt: möglicherweise hat das Finanzamt einen Anspruch, wird aber diesen in der Praxis nie durchsetzen können.
Auch hier hat man die Rechnung ohne das deutsche Finanzamt gemacht. In solchen Fällen gehört es zu der gängige Praxis, dass das Finanzamt direkt gegen die vorherigen Organe der Gesellschaft vorgeht (§§ 69, 34 AO).
Die Begründung für die Haftung ist simpel. Vereinfacht lautet diese so: Für einen durchschnittlich gebildeten Geschäftsführer/Liquidator ist stets klar, dass ein Bescheid unter Vorbehalt der Nachprüfung nicht endgültig ist. Es muss daher stets damit gerechnet werden, dass das Finanzamt seine Meinung ändert und die Gesellschaft Steuern (nach)zahlen muss.
Eine weitere Besonderheit der Haftungsnorm zu Gunsten des deutschen Fiskus sollte ebenfalls erwähnt werden: das Finanzamt kann direkt gegen die vorherige Geschäftsführung vorgehen. Das Finanzamt muss auch nicht nachweisen, dass es zunächst versucht hat, die Steuern von der gelöschten Gesellschaft zu erlangen und dies ihr nicht gelungen ist.
5. Problem: Als ausländisches Organ hafte ich nur nach ausländischem Recht
Die letzte Verteidigungsbastion könnte sein: Ich bin/war Organ einer ausländischen Gesellschaft. Für mich gelten Gesetze des Sitzes der Gesellschaft. Eine Nachtragsliquidation existiert bei uns nicht (vgl. z. B. Luxemburg). Nach der Löschung im Handelsregister können keine weiteren Ansprüche geltend gemacht werden. Mein eigenes Verhalten kann am Ort der Gesellschaft somit keine persönliche Haftung hervorrufen.
Aber auch hier gilt: §§ 69, 34 AO ist eine Form des öffentlichen Steuerrechts. Anknüpfungspunkt ist das Vorhandensein eines Steuerpflichtigen und dessen Organe. Diese Voraussetzungen werden daher leicht vorliegen. Ein Blick in das aktuelle Insolvenzrecht zeigt darüber hinaus, dass sich eine solche deutsche Haftungsnorm gegenüber Organen ausländischer Gesellschaften sehr effektiv durchsetzen kann.
Lösung und Vorschlag:
* Prüfen Sie bei der Liquidation/Beendigung der Gesellschaft stets, ob noch Steuerbescheide unter Vorbehalt der Nachprüfung existieren.
* Schätzen Sie die steuerlichen und rechtlichen Gefahren sorgfältig ein. Im Zweifel müssen Sie entsprechende Rückstellungen bilden oder eine andere adäquate Maßnahme ergreifen.
* Denken Sie stets an die Besonderheit des deutschen Steuerrechts und die Vertreterhaftung nach §§ 69, 34 AO.